Am 04. Juni 2025 lud Reigning Phoenix Music (RPM) im beschaulichen Hamberg (DE) zu einer exklusiven Pre-Listening-Session des neuen Amorphis-Albums «Borderland». Im Heimkino des Labelgründers Sven Bogner nahmen an die 20 Musikjournalisten Platz, um den harten Klängen der Finnen zu lauschen. Gespannt und gebannt sassen wir da, ein Song nach dem anderen wurde abgespielt, während die Texte auf Grossleinwand zu verfolgen waren. Im Anschluss kam die Band unter Applaus selbst hinzu, und beantwortete erste kurze Fragen.
Nach der obligaten Fotosession in der privaten Hauseinfahrt startete für die Band ein Interviewmarathon, der beinahe bis zum Abendessen dauerte. Ich hatte die Ehre, mit Jan "Snoopy" Rechberger (Schlagzeug) und Olli-Pekka "Oppu" Laine (Bass) gute 20 Minuten verbringen zu dürfen, in denen sie mir Rede und Antwort standen. Seit der Rückkehr des Bassisten fand der Kult-Sechser immer besser in die Spur und ihr Spagat zwischen Death Metal und progressiven Elementen ist längst legendär. Was Amorphis um- beziehungsweise antreibt, was ihnen die neue Platte bedeutet und welchen Einfluss der neue Produzent gehabt hat, erzählen die beiden im folgenden Gespräch.
MF: Wie ist es möglich, dass ihr all die Jahrzehnte hinweg eurem Stil treu geblieben seid und dennoch immer frische Songs mit neuen Elementen produziert?
Jan: Nun, ich denke, das liegt daran, dass wir so viele Komponisten in der Band haben. Nicht bloss einer schreibt alles auf, sondern alle bringen sich in den Prozess ein. Das ist vermutlich ein Grund.
Olli: Seit Tag eins von Amorphis ist die Devise, es muss gut klingen. Es spielt dabei auch keine Rolle, ob wir nun schon im Studio sind oder erst in der Vorproduktion. Wenn einer noch eine Idee hat, dann kann er sie einbringen. Das ist für uns (Amorphis) ein Kodex, wie in einer Bruderschaft. Wir überlegen uns im Vorfeld auch nicht wirklich, ob ein Song live funktioniert oder nicht. Wir arbeiten streng nach dem Lustprinzip. Zuerst hatten wir reinen Death Metal gemacht, dann Death Metal mit Keyboards, Death Metal mit Growls und nun Death Metal mit Cleanvocals. Es gibt so viele Dynamiken, und noch mehr verschiedene Elemente und genau die wollen wir aufgreifen.
MF: Auf «Borderland» gibt es wieder ein lyrisches Konzept von Pekka Kainulainen. Bitte gebt mir mehr Informationen über die Texte, das Konzept und die Botschaft in den Texten!
Olli: Eigentlich gibt es für das Album kein Konzept. Pekka hat viele Geschichten erfunden, sind persönliche und universelle Ideen, die er aufgeschrieben hat. Die Lyrics gehen nicht allzu sehr in die Tiefe, denn der Hörer soll die Möglichkeit haben, den Inhalt selbst zu interpretieren. Die Texte sollen die Leute zum Nachdenken anregen, und dazu einladen, sie zu lesen. Wenn wir in der Zeit zurückgehen, dann war es für mich immer das Grösste, die Texte von Slayer oder Metallica zu lesen, um zu erfahren, wodurch sie inspiriert sind. Junge trifft Mädchen oder Mädchen verlässt Junge, das ist für mich keine Inspiration, um Texte zu schreiben.
Die Leute sollen Nachdenken! Inspiriert sind die Songs jedoch wieder vom Kalevala (zusammengestelltes Epos, mündlich überlieferter finnischer Mythologie / Anm.d.R), das für die Musik von Amorphis sehr wichtig ist…
Jan: …es ist ein respektvoller Umgang mit der finnischen Folklore, so wie wir sie verwenden und natürlich ist es uns wichtig, einen respektvollen Umgang mit den Hörern von Amorphis zu haben. Das ist auch ein wenig der Grund, weshalb wir interessante Texte schreiben wollen. Bla, bla gibt es in der Welt genug und wir wollen etwas bewegen. Das ist auch mit Folklore möglich (lacht).
”…«Borderland» ist sicherlich ein echteres Bandalbum als seine Vorgänger…“
MF: Für «Borderland» habt ihr erstmals mit dem dänischen Producer Jacob Hansen zusammengearbeitet und nicht mehr mit Jens Bogren. Wie kam es dazu und wie ist es, mit ihm zusammenzuarbeiten?
Jan: Nun, wir haben die letzten drei Alben mit Jens gemacht, und das war eine grossartige Erfahrung. Wir haben in diesen Jahren sehr viel gelernt, aber jede Ära geht einmal zu Ende, zudem wollten wir unbedingt etwas Neues ausprobieren. Ich war bereits im Vorfeld grosser Fans von Jacobs Produktionen, aber ich weiss nicht mehr genau, wer von uns die Idee hatte, mit ihm zu arbeiten.
Olli: Vermutlich war ich das…
Jan: Ach du warst das (lacht)… ok!
Olli: Ich habe im Internet nach Produzenten gesucht, und bin dabei über Hansen gestolpert. Er hat in der Vergangenheit mit Michael Poulsen für Asinhell und Volbeat gearbeitet. Die Produktion hat mir sehr gut gefallen, und sein Wissen bezüglich Mainstream und Death Metal fand ich perfekt. Deshalb habe ich ihn vorgeschlagen.
Jan: Ah, gut zu wissen. Mit Jacob zu arbeiten war toll, da er uns komplett die künstlerische Freiheit gelassen hat. Wir konnten uns musikalisch voll austoben. Das meiste Material wurde so auf die Platte gebracht, wie wir es erarbeitet haben. Die Produkte waren sozusagen fertig, als wir mit den Aufnahmen begannen. Ich kann bloss für mich sprechen, aber die musikalische Freiheit als Künstler war grösser als bei anderen Produzenten. Klar hat er seine Vorschläge reingebracht, und wir haben sie auch ausprobiert, aber sie waren nie so gravierend, dass sie die Songs verändert hätten.
Olli: Es war wirklich total anders als der Jens Bogren-Stil. Dieser taucht tief in den ganzen Aufnahmeprozess ein, verändert die Struktur der Songs, aber Jacobs hat uns wirklich das tun lassen, was wir wollten. Ganz egal ob nun die Gitarren oder die Bassläufe, «Borderland» ist sicherlich ein echteres Bandalbum als seine Vorgänger. Ich habe mit beiden Methoden kein Problem, denn im Endeffekt zählt nur das Produkt und dies ist in beiden Fällen gut herausgekommen.
MF: Dann war der Aufnahmeprozess wirklich ganz anders als bei Jens, denn ich habe erfahren, dass er bei den «Halo»-Aufnahmen, von 30 Songs, die 11 ausgewählt hat, die schlussendlich den Weg aufs Album gefunden haben.
Jan: Das ist absolut richtig. Der Aufnahmeprozess bei Hansen war wirklich frei in jeglicher Hinsicht, allerdings haben wir zum Ende hin auch Jacob gebeten, von den 25 Songs, die wir mitgebracht haben, die 11 Tracks auszuwählen, die definitiv aufs Album kommen sollen.
Olli: Genau! Wir haben Hansen gebeten. Er hat es nicht einfach so gemacht. Für uns ist es fast unmöglich, denn wir sind eine Horde Jungs und jeder hat einen anderen Favoriten. Es ist zudem immer gut, eine Aussenperspektive zu haben. Dies ist als Bandmitglied unmöglich, wir würden in diesem Prozess ewig steckenbleiben.
MF: Bei «Halo» hat Esa (Holopainen) 70% der Songs geschrieben und bei «Borderland» fällt Santeri (Kallio) diese Ehre zu. War dies so geplant?
Jan: Ach nein, es ist nicht so, dass jemandem im Vorfeld ein Grossteil des Songwritings zugesprochen wird. Daran lässt sich auch schön die Handschrift des neuen Produzenten erkennen, der wie gesagt, die Songs ausgewählt hat.
Olli: Genau! Auch wenn die Produzenten eigentlich neutral sind, haben sie dennoch einen musikalischen Geschmack, den sie bevorzugen. Jemand anderes hätte vielleicht ganz anders gewählt. Für uns spielt dies aber keine Rolle, da wir von allen geschriebenen Songs grundsätzlich überzeugt sind.
Jan: Vermutlich gehört dies zum ganzen Prozess, vertrauen zu können. Wenn man über die Jahre so viele Alben gemacht hat, braucht es Vertrauen. Wir als Band haben viele blinde Flecken und da ist es gut, Verantwortung abgeben zu können, an jemanden, der einen gewissen Instinkt fürs Business hat.
MF: Was passiert mit den restlichen Songs?
Olli: Die werfen wir in den Müll… (lautes Gelächter)
Jan: Nein, das ist wirklich eine gute Frage, denn meistens kommen wir bei jeder Platte wieder auf alte Stücke oder Fragmente davon zurück, brauchen aber im Normalfall nichts davon. Ausser bei «Halo», da haben wir einen nichtbenutzten Song von «Queen Of Time» aufgegriffen.
MF: «Under The Red Cloud» (2015), «Queen Of Time» (2018) und «Halo» bildeten sozusagen eine Trilogie. Ist «Borderland» wieder ein Neuanfang von etwas grösserem oder steht das Album erst mal für sich?
Olli: Das ist auch eine gute Frage, die wir uns selbst auch schon gestellt haben, jedoch zu früh ist, um sie zu beantworten.
Jan: «Borderland» bietet sicherlich genug Stoff, um das Thema weiter auszuweiten. Allerdings fühlt es sich momentan so an, als würde es ein Einzelalbum bleiben. In dieser Platte steckt auch viel unserer Geschichte. Gerade als Band sind wir so familiär zusammengerückt, wie schon lange nicht mehr. Es fühlt sich sehr einheitlich an und das ist auch in die Produktion geflossen. Wir wissen nicht, wo wir in drei Jahren stehen und ob das Thema weitergeht oder nicht.
“...Vom Gefühl her sind wir seit «Queen Of Time» wieder auf dem richtigen Pfad, und driften mit den Ideen und Meinungen nicht mehr meilenweit auseinander, wie zu Beginn der 2000er. Wir sind zurzeit in unserem Element, wir sind Amorphis!...”
MF: Wie beurteilt ihr die Entwicklung von Amorphis über all die Jahre?
Olli: Ich denke, dass Amorphis in den Neunzigern gute Arbeit geleistet haben, auf der Suche nach ihrem Sound. Als dieser gefunden war, wusste man nicht genau wie weiter und hat sich über die Jahre auch mal verzettelt. Seit ein paar Jahren allerdings, haben wir den roten Faden wiedergefunden, unter Einbezug der schrägen Dinge, die wir gemacht haben. Weisst du, was ich meine? Das ganze experimentelle Zeug, das wir zeitweise gemacht haben, interessiert momentan keinen mehr und beeinflusst auch nicht unsere Produktionen. Wir haben wirklich das Gefühl, unseren perfekten Sound gefunden zu haben.
Jan: Da gebe ich dir recht! Als Tomi (Joutsen) dazu kam, und Oppu (Olli-Pekka Laine) wieder zurückkam, hat das bei den Mitgliedern schon etwas bewirkt und wir wollten gemeinsam den perfekten Sound schaffen. Vom Gefühl her sind wir seit «Queen Of Time» wieder auf dem richtigen Pfad, und driften mit den Ideen und Meinungen nicht mehr meilenweit auseinander, wie zu Beginn der 2000er. Wir sind zurzeit in unserem Element, wir sind Amorphis.
MF: Was kannst du uns über das Cover-Artwork von Marald Art erzählen? Was ist die Idee dahinter, was ist die Verbindung zu den Texten und der Musik?
Olli: Da auf dem Album die ganze finnische Folklore enthalten ist, ist der Schwan aus Tuonela ein Thema, das Amorphis schon beinahe die ganze Karriere beeinflusst, wie das Album «Tuonela» selbst zum Beispiel. Das Artwork verbindet verschiedene Welten der finnischen Mythologie. Der alte Mann mit dem Bart verkörpert das Christentum, das auch im Kalevala so beschrieben wird. Auch der fliessende Fluss ist der Fluss des Todes und die schwarze Brücke, die die verschiedenen Welten verbindet. Die Idee hinter dem Cover ist eigentlich, die verschiedenen Mythen des Kalevala zu verbinden. Es sind auch ganz universelle Dinge, wie das Thema Leben und Tod.
Jan: «Borderland» repräsentiert auch den Raum zwischen den beiden Welten von Leben und Tod.
MF: Als ich es das erste Mal gesehen habe, war es schwierig, die Bedeutung darin zu erkennen, wenn man mit dem Kalevala nicht vertraut ist.
Olli: Das stimmt! Es unterscheidet sich auch von den anderen Artworks, die wir bis dato hatten. Es spiegelt allgemein Leben und Tod wider, ist aber nicht unbedingt fix an die Texte gebunden. Es ist wirklich sehr universell und thematisch breit gefächert.
MF: Habt ihr noch Zeit für eure Soloprojekte The Eternal (Jan) und Octoploid (Olli)?
Jan: Danke für die Blumen aber The Eternal ist nicht allein mein Projekt. Aber ja, trotz der neuen Platte mit Amorphis bleibt immer etwas Zeit, um an neuer Musik zu feilen. Natürlich nimmt Amorphis aber momentan den Hauptteil ein, was auch gut ist.
Olli: Ich arbeite sehr an der Zukunft von Octoploid, denn es ist ein Projekt, das mir persönlich sehr wichtig ist. Es zeigt nochmals eine etwas andere Seite von mir, die ich dort ohne Kompromisse ausleben darf. Mit der bald startenden «Borderland»-Tour werde ich aber meine Pläne erstmal auf Eis legen und mich auf die Tour konzentrieren. Wir haben aber schon das Ziel, nächsten August ins Studio zu gehen und neues Material aufzunehmen.
“...Auch wenn es stressig ist, sehen wir es als Privileg an, Musik machen zu dürfen…”
MF: Was steht als nächstes an im Hause Amorphis?
Jan: Touren!
Olli: (lacht) Viel touren! (Gelächter). Unser Kalender besteht aus Tourdaten bis Ende 2028, was also ziemlich viel reisen bedeutet. Die erste grössere Pause werden wir Ende 2027 haben, aber wir haben uns ziemlich gut darauf eingestellt, denn mit «Halo» sind wir auch knapp drei Jahre unterwegs gewesen.
Jan: Ja, das gehört eben dazu, und solange wir noch genug Kraft haben, wollen wir dies auch noch machen. Es ist uns wichtig, dass es stets professionell ist und nicht zu einer armseligen Show verkommt. Auch wenn es stressig ist, sehen wir es als Privileg an, Musik machen zu dürfen und damit in verschiedene Länder zu reisen. Die Jungs sind grossartig und die Musik ist grossartig! Wir sind sehr glücklich über diese Kombo!
MF: Jetzt noch ein kurzes Brainstorming zum Abschluss - was fällt dir zu folgenden Begriffen als erstes ein? Frauen-Fussball-WM?
Olli: Unbedeutend
Jan: Gleichwertig
MF: Sport
Olli: Unbedeutend… vielleicht Snooker (lacht)
Jan: Unterhaltung
MF: Das beste Album aller Zeiten
Olli: «Red» von King Crimson
Jan: «Animals» von Pink Floyd
MF: Der wichtigste Punkt auf deinem Tour-Rider
Olli: Kokosnusswasser
Jan: Partymaterial (lacht)
MF: Welcher Song verfolgt dich momentan?
Jan: Das ist dieser estnische ESC-Song «Cappuccino por favore»
Olli: Glücklicherweise komme ich momentan ohne nervtötenden Ohrwurm aus.
Jan: Du Glücklicher!
MF: Welches Buch kannst du empfehlen?
Olli: Peter Singers «Animal Liberation»
Jan: Neil Gaimans «American Gods»
MF: Welche Platte würdest du deinem Feind abspielen?
Olli: Ich habe eine deutsche Yoga-Platte… (lacht)
Jan: Dann nehme ich «Macchiato por favore» (Gelächter)
MF: Glaubst du an die Hölle?
Olli: Hölle auf Erden… ja.
Jan: Nein!
MF: Whiskey oder Bier?
Jan: Bier
Olli: Ich bin auch ein Bier-Typ.
MF: Was würdest du mit gefundenen 100 Euro anstellen?
Olli: Ich würde es natürlich meiner Frau geben (lacht)
Jan: Ich würde es auch für die Familie sparen. Man weiss nie, wann sie neue Schuhe brauchen (lacht)
MF: Danke Jungs, das wars schon! Die Zeit rast…
Olli: Wir haben zu danken!
Jan: Es war mir eine Ehre.