Doch indem sie J.R.R. Tolkiens Verse vertont, deckt Shannon eine andere Art von Dunkelheit auf: die tiefe, uralte Stille, die nach der Schlacht zurückbleibt, wenn Trauer und Schönheit dieselbe Luft teilen. Dies ist nicht die düstere Schmiede von Mordor, sondern die Dämmerung der Grauen Anfurten – und sie ist nicht weniger tiefgründig. Shannons veröffentlichte Hommage an Tolkien behandelt seine Gedichte wie heilige Texte.
Das Album entfaltet sich als intimer Liederzyklus – Folk-Psalmen, die in ätherischen Tönen wiedergegeben werden, wobei die Harfe die Führung übernimmt und die Stimme ihr folgt. «Beren and Lúthien» mit Leila Abdul-Rauf setzt den emotionalen Massstab: eine leuchtende Elegie der Hingabe, in der die Liebe durch Melodie und Atem dem Untergang trotzt. Abdul-Raufs dämmerungsfarbene Harmonien verschmelzen mit Shannons Harfe zu etwas Mittelalterlichem und Zeitlosem zugleich.
«Faramir» und «Finduilas (Sorrowless Versions)» wenden sich nach innen und verkörpern Gondors stille Noblesse und Trauer mit unerschütterlicher Zurückhaltung. Das Herzstück ist jedoch «Grey Havens (Sorrowless Version)», eine Zusammenarbeit von Ruth Tolkien, der Urenkelin des Autors, und Maria Franz von der Band Heilung. Ihre Stimmen schweben wie Meeresnebel, verbinden Ahnen und Rituale und verwandeln Tolkiens Abschied von den Elben in einen Moment transzendenter Verabschiedung.
Im Gegensatz dazu erstreckt sich das abschliessende «Misty Mountains» zusammen mit Travellers Rest zu einer fast 9-minütigen Meditation. Shannon lässt das Stück in Drone-Folk-Gefilde abdriften, in denen Harfe und Stimme in resonanten Obertönen verschwimmen – weniger ein Lied als eine Pilgerreise durch den Schatten zur Stille. Obwohl diese Veröffentlichung Tremolo gegen Ruhe eintauscht, wird ihre Atmosphäre jeden Zuhörer ansprechen, der das Heilige im Klang findet.
Shannons Produktion ist kristallklar und doch roh, ihr Raumgefühl eher andächtig als dekorativ. «In The Forest Singing Sorrowless» mag unsere üblichen dunklen Parameter sprengen, aber sein Geist ist ihnen verwandt. Er blickt in die mythische Dunkelheit und antwortet mit Licht. Eine eindringlich leuchtende Neuinterpretation Tolkiens – sanft, ja, aber tief resonant. Lest dabei Tolkiens Buch "Nachrichten aus Mittelerde".
Lukas R.