Montag, 07. Juli 2025

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Samstag, 05 Juli 2025 06:40

Wie J.R.R. Tolkien, der Vater vom Hobbit und Herr der Ringe Epos, zeitgenössische Rock-Musik beeinflusste (Teil 6) Empfehlung

Von Lukas O. Ritzel, 2025 für Metal Factory
Coverbild bei Sepide Donne (2025)

Fairyland und die Echos von Tolkien: Osyrhia im Symphonic Metal
In der grossen Zahl von Bands, die von J. R. R. Tolkien inspiriert sind, haben sich nur wenige so weit in das Reich der Mythosbildung vorgewagt wie die französische Symphonic Power Metal Band Fairyland. Sie wurde 2001 unter der visionären Leitung des verstorbenen Philippe Giordana gegründet und beschränkte sich nicht darauf, ihre Texte in Tolkien-artige Landschaften zu versetzen, sondern sie schufen eine ganze mythologische Welt: Osyrhia

Eine französische Hommage an Mittelerde.

Fairyland, die ihre Wurzeln im Symphonic Power Metal haben, wurden früh mit Rhapsody (Of Fire) verglichen, doch ihre Ambitionen gingen bald in andere Richtungen. Anstatt sich lose an Tolkiens Figuren oder Schlachten anzulehnen, verfolgte Giordana ein Projekt, das eher Tolkiens eigenem Schaffensprozess ähnelte: Er schuf ein Legendarium von Grund auf neu. Mit einer eigenen Kosmologie, Rassen, erfundenen Sprachen (Moryän, Felyän) und sogar einer metaphysischen Kraft, bekannt als der Urtraum, entwickelte sich Osyrhia zu einer strukturierten Mythologie, die mehrere Zeitalter, Kriege, Verrat und Erlösung umfasst.

Wie in Tolkiens «Ainulindalë» beginnt «Osyrhia» mit Musik als Schöpfung: Eine göttliche Note in der Leere lässt Götter und Welten entstehen. Und wie die Valar formen die Gottheiten von Fairyland Berge, Wälder und Meere, bevor sie sich zurückziehen und den Sterblichen Raum zum Entstehen und Kämpfen geben. Der mythische Konflikt zwischen der korrupten Figur Cenos und den göttlichen Wächtern entspricht der Feindschaft zwischen Melkor und den Valar bzw. Sauron und den freien Völkern.

Erzählstruktur: Ein Metal-Silmarillion: In Alben wie «Of Wars In Osyrhia», «The Fall Of An Empire» und «Score To A New Beginning» zeichnet Fairyland den Aufstieg und Fall von Zivilisationen nach, mit derselben tragischen Grösse wie in "The Silmarillion". Die magischen Guardian Stones, die den einzelnen Rassen von den Göttern geschenkt wurden, dienen als mächtige Artefakte, ähnlich den Silmarils oder den Ringen der Macht –, die als Symbole des göttlichen Erbes und der sterblichen Versuchung dienen.

Zentrale Figuren wie Cenos, der von den Göttern geschaffene Sammler, der zum gefallenen Tyrannen wurde, und Doryan, ein auserwählter Jugendlicher, dessen Unschuld einen weltweiten Widerstand weckt, spiegeln die Dualitäten von Fëanor und Frodo, Aragorn und Túrin wider. Ihre Handlungsbögen zeigen, wie grosse Macht, ob göttlich oder ererbt, Opfer fordert und dass selbst das Licht ins Exil gehen muss, bevor Erlösung kommen kann.

Philippe Giordanas Tolkien'sche Vision: Giordana nannte Tolkien (und insbesondere Christopher Tolkien) als direkten Einfluss, und dies nicht nur in Bezug auf das Thema, sondern auch auf die Struktur. Wie Tolkien betrachtete er Mythologie als einen heiligen kreativen Akt und nicht als dekorativen Rahmen. Jeder Song ist ein Kapitel, jedes Album ein Zeitalter. Zwar inspirierten ihn auch Terry Pratchett und Dan Simmons, doch war es Tolkien, der ihm die Blaupause für die Weltgestaltung als Kunstform lieferte.

Und wie Tolkiens Werk weigert sich auch die Musik von Fairyland, statisch zu sein. Osyrhia entwickelt sich im Laufe der Zeit weiter..., narrativ, musikalisch und spirituell. Die Mythologie passt sich an, wird dunkler oder heller und spiegelt so den Lauf der Zeit und die kreative Reifung in der realen Welt wider. So wie Tolkien "Das Silmarillion" bis zu seinem Tod immer wieder umgestaltete, erweiterte und überarbeitete, so erweiterte und überarbeitete Giordana den Mythos von Osyrhia über mehrere Besetzungen und Aufnahmepausen hinweg.

In Fairyland finden wir keine weitere Metal-Band mit Fantasy-Texten, sondern ein seltenes Tolkien-Projekt in der modernen Musik. Hier verschmelzen Erzählung, Sprache und Kosmologie zu einem opernhaften Zyklus aus Kampf und Hoffnung. ‘Osyrhia’ ist dabei nicht nur Kulisse, sondern ein Mythos in Bewegung, ein Reich, in dem Musik zum Mythos und Mythos zur Erinnerung wird.

Fairyland ahmt Tolkien nicht nach, sondern führt sein Vermächtnis weiter, heisst neu gestaltet in Metal und Melodie, aber immer noch getreu der Überzeugung, dass Fantasie, wenn sie mit Tiefe und Herz geschaffen wird, Wahrheiten offenbart, die so alt sind wie die Zeit selbst.

Fairyland – The Fall Of An Empire


Ähnlich ist es mit einer Band die aus den USA, spezifisch Arizona kommt.

Kardashev - Von Quenya zu Alunea
Obwohl Kardashevs Alunea nicht explizit von Tolkien inspiriert ist, weist sie durch die Erfindung einer konstruierten Sprache eine tiefe kreative Verwandtschaft mit der Welt des Professors auf. Ähnlich wie Tolkien die Elbensprache schuf, um die Kulturen Mittelerdes zu vertiefen, entwickelte Sänger Mark Garrett die Sprache Alunea, um die kosmische, philosophische Erzählung der Band zu bereichern.

Auch wenn Kardashev seine Wurzeln im progressiven Death Metal und Shoegaze hat, zeichnet sich die Band durch ihr Engagement für immersives Storytelling durch Linguistik, Mythos und emotionale Intensität aus. Alunea ist keine Tolkien-Musik im eigentlichen Sinne – aber sie spiegelt seinen Geist wider: den Glauben, dass Sprache die Seele einer Welt ist und Musik ihr lebendiger Atem.

In Tolkiens Welt ist Sprache nicht nur ein Mittel zur Kommunikation, sondern auch ein Akt der Schöpfung. Die Elfen sangen, bevor sie sprachen, und in Ainulindalë wurde die Welt aus Musik gewebt. Kardashevs Alinea folgt einem ähnlichen Ansatz. Ihre erfundene Sprache ist mehr als nur künstlerisches Flair, sie ist ein Werkzeug, um das auszudrücken, was gängige Sprachen nicht fassen können. Wie Quenya oder Sindarin wird Alunea zu einem Gefäss für das Unaussprechliche: Trauer, Staunen, Ehrfurcht. Wo die Bedeutung durch die Ritzen der bekannten Sprache schlüpft, werden Musik und konstruierte Sprache zur Brücke. Wie in Tolkiens Legendarium wird Klang zur Geschichte und Stille wird heilig.

Speak Silence (feat. Genital Shame) Kardashev


Jenseits von Tolkien:  Haben andere Autoren die Rockmusik ebenso stark beeinflusst?
Der enorme Einfluss von J. R. R. Tolkien auf Rock- und Metal-Musik ist gut dokumentiert. Aber wie sieht es mit anderen Autoren aus den Bereichen Fantasy und Horror aus? Gibt es Schriftsteller, die die Musikwelt in vergleichbarer Weise geprägt haben? Zwar tauchen regelmässig einige Namen auf, insbesondere H. P. Lovecraft, doch scheint keiner Tolkien in Umfang und Tiefe das Wasser reichen zu können.

Dennoch lassen sich die Echos anderer literarischer Stimmen in verschiedenen Sub-Genres des Rock nachverfolgen, wenn auch mit spezifischerer oder begrenzterer Resonanz. Unter diesen sticht H. P. Lovecraft als Schlüsselfigur hervor, insbesondere in den dunkleren, experimentelleren Bereichen des Rock und Metal. Sein charakteristisches Thema, der kosmische Horror, konfrontiert die Zuhörer:innen mit einem Universum, das der menschlichen Existenz gleichgültig gegenübersteht. Diese existenzielle Angst ist zu einem fruchtbaren Boden für musikalische Experimente geworden. Genres wie Doom Metal, Gothic Rock und Industrial haben sich Lovecrafts Motive zu eigen gemacht.

Bands wie Metallica («The Call of Ktulu»), Black Sabbath, und neuere Bands wie Puteraeon (welche erst kürzlich bei Metal Factory besprochen wurde – lest dies hier. The Vision Bleak, The Great Old Ones und Electric Wizard haben die Unruhe und das Geheimnisvolle seiner Werke in ihre Klangwelten einfliessen lassen. Lovecrafts Anziehungskraft reicht bis in die subkulturellen Dimensionen des Rock. Seine Geschichten von verbotenem Wissen, verborgenen Wahrheiten und Wahnsinn finden ihren Widerhall in der rebellischen, gegen den Mainstream gerichteten Haltung, die einen Grossteil der Rock-Underground-Szene prägt.

Electric Wizard - Dunwich


Obwohl Lovecraft weniger offen mythisch ist als Tolkien, inspirieren seine psychologische Tiefe und sein esoterischer Ton bis heute Musiker, die sich zum Unheimlichen und Unbekannten hingezogen fühlen.


PUTERAEON - The Land Of Cold Eternal Winter


Im Gegensatz dazu haben andere bedeutende Fantasy-Autoren deutlich weniger Einfluss auf die Rockmusiklandschaft gehabt. George R. R. Martin erfreut sich mit ‘Das Lied von Eis und Feuer’ zwar immenser Popularität, doch lassen sich sein politischer Realismus und seine moralisch ambivalenten Charaktere nicht ohne Weiteres in die symbolischen, transzendentalen oder eskapistischen Rahmenbedingungen übertragen, die im Rock bevorzugt werden. Seine Welt ist düster und bodenständig – eher geeignet für HBO-Dramen als für symphonische Metal-Hymnen.

J. K. Rowlings Harry-Potter-Reihe ist zwar ein kulturelles Phänomen, thematisch jedoch eher dem Genre der Coming-of-Age-Erzählungen und moralischen Lehren zuzuordnen. Diese richten sich in erster Linie an ein jüngeres Publikum. Diese Elemente finden bei Rockmusikern, die es eher düster, schwer oder philosophisch mögen, keinen so starken Anklang.
Robert E. Howard, der Schöpfer von Conan dem Barbaren, hat mit seinen Werken Bands wie Manowar, Ironsword und The Gates of Slumber inspiriert, insbesondere im Bereich des epischen Heavy Metal mit Schwertkämpfen und Zauberei. Allerdings beschränkt sich Howards Vermächtnis oft auf viszerale, actiongeladene Themen, die weniger nuanciert sind als die metaphysischen oder allegorischen Tiefen, die man bei Tolkien oder Lovecraft findet.

Seine muskulösen Helden sprechen die Ästhetik von Macht und Kampf an, aber selten Introspektion oder metaphysische Ehrfurcht. Trotzdem gibt es da zumindest ein Band die sich dem Cimmerier musikalisch ehrfürchtig annnimmt. Hier zum Beispiel nach einer der besten Geschichten von Robert E. Howard.

The Sword - The Frost-Giant's Daughter: 2023 Remastered Version


Tolkiens einzigartige Mischung aus Mythosbildung, moralischer Tiefe und sprachlicher Kunstfertigkeit bleibt als Inspirationsquelle für Rock- und Metal-Musiker, die nach Grösse, Transzendenz und Sinn suchen, unerreicht.

Zürcher Tolkien Akademiker Prof. Thomas Honegger meinte dazu in einem Gespräch mit dem Autor dieser Serie: ‘Tolkien’s Bösewichte sind nicht einfach nur dunkle Antagonisten, sondern sie sind selbst Teil eines viel grösseren mythologischen Rahmens. Morgoth, der erste Dunkle Herrscher, und Sauron, sein Nachfolger, sind keine flachen Charaktere. Ihre Herkunft, ihr Fall und ihre Verbindung zu den tieferen Kräften der Welt machen sie zu faszinierenden und fast tragischen Figuren. In diesem Zusammenhang lässt sich eine Parallele zu John Miltons Darstellung von Satan/Luzifer in ‘Paradise Lost’ ziehen. Wie Milton gibt auch Tolkien den dunklen Mächten eine vielschichtige, beinahe sympathische Qualität, die sie aus den üblichen Schwarz-Weiss-Darstellungen hervorhebt. Diese Tiefe und Komplexität ist es, die Tolkien von anderen Fantasy-Autoren abhebt und ihn zu einer nahezu unerschöpflichen Quelle der Inspiration für Künstler und Musiker macht, die sich mit dem ‘Dunklen’ und dem ‘Mythologischen’ beschäftigen.

Ein perfektes, musikalisches Beispiel hierfür ist die Band 3 Inches of Blood
Äxte erhoben, Orks vernichtet – Tolkiens unterirdischer Puls in der Musik von 3 Inches of Blood
Nicht alle Hommagen an Mittelerde tragen Elfenroben oder flüstern in elfischer Sprache. Manchmal dröhnen sie durch Lautsprecher, gekleidet in Leder und Stahl.
Hier kommt 3 Inches of Blood, die kanadische Metal-Band aus Vancouver. Deren fantasievolle Schlachtrufe sind mehr als nur Genre-Klischees – sie spiegeln die tiefen Rhythmen von Tolkiens Legendarium wider.

Während Frontmann Cam Pipes mit seiner durchdringenden Stimme und seiner überlebensgrossen Bühnenpräsenz wie ein Heavy-Metal-Krieger wirkt, entpuppt er sich hinter den Kulissen als Kenner von Schwertern und Sagen. Pipes' Reise in Tolkiens Welt begann, als Peter Jacksons "Die Gefährten" 2001 in die Kinos kam. Von da an stürzte er sich kopfüber in "Der Hobbit", "Der Herr der Ringe" und "Das Silmarillion" und vertiefte sich oft mit ehrfürchtiger Sorgfalt in die abgenutzten Ausgaben seiner Eltern aus den 1970er Jahren. Es waren nicht nur die Epen, die ihn faszinierten, sondern auch die übersehenen Ecken der Texte. Die Säuberung des Auenlandes, der Schatten Saurons im Düsterwald und die reichhaltigen Anhänge haben seine Fantasie nachhaltig geprägt.

Pipes spricht offen darüber, was bei der Adaption verloren gegangen ist, insbesondere Tolkiens komplexe Zeitachsen und moralische Nuancen. Die Musik der Band spiegelt diese Tiefe wider. Songs wie «Destroy The Orcs» sind dabei offensichtliche Referenzen, doch darüber hinaus dient Tolkiens Mythos als unbewusstes Fundament. Es handelt sich nicht um Fanfiction, sondern um geschmiedete Mythen, die durch Feuer und Verzerrung neu geformt wurden.

Ob es darum geht, Bestien zu töten oder gefallene Brüder zu ehren, die Texte vibrieren vor dem Geist epischen Widerstands. Ausserhalb des Studios ist Pipes auch ein begeisterter Dungeons-&-Dragons-Spielleiter, der nächtelange Kampagnen ausarbeitet und sie mit Musik aus Conan dem Barbaren und von Howard Shore untermalt.

All dies ist Teil desselben Gewebes: Kampf, Fantasie, Überlieferung und der unerschütterliche Einfluss von Tolkiens Welt. In der Klanggewalt von 3 Inches Of Blood hört man vielleicht nicht sofort Lúthien oder Númenor, aber bei genauerem Hinhören entdeckt man unter den Riffs die Echos von Mittelerde. Tolkiens Feuer brennt nicht nur in alten Hallen, sondern auch hinter dem Schlagzeug.

3 Inches Of Blood - Destroy The Orcs With Lyrics


Einen Nachtrag der so neu ist, dass er nicht mehr in den Part um Moongates Guradian (siehe Teil 3) integriert werden konnte: «The Wind Over The Green Hills» ist das neueste Kapitel im musikalischen Schaffen von Moongates Guardian, ein Werk von betörender Melancholie, das Anfang Juni 2025 das Licht der Welt erblickte. Bereits das dreizehnte Album der Band, entführt es uns mit leiser Kraft und grosser Tiefe erneut in die mythischen Weiten von Tolkiens Legendarium.

Sanft und atmosphärisch wie ein Windhauch über Ithilien, entfaltet sich eine Klanglandschaft, die von innerer Ruhe, Wehmut und zeitloser Grösse durchdrungen ist. In Stücken wie «Denethor's Downfall», «Treebard» oder «The White Tree of Númenor» beschwören Moongates Guardian die Melancholie vergangener Zeitalter, das Flüstern alter Wälder und die tragische Würde untergehender Königreiche.

Dieses Album ist nicht wie sonst beim eindrucksvollen Musikwerk von Moongates Guardian ein lauter Ruf, dieses Mal ist es ein stilles Staunen, ein musikalischer Nachhall des Westwinds, der durch Mittelerdes grüne Hügel streicht.

Moongates Guardian - The Wind Over The Green Hills

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Nächste Woche geht es weiter mit Teil 7
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