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Wenn ein Atomkraftwerk summen, brüllen und schliesslich sein eigenes Requiem singen könnte, würde es wohl so klingen. Gorlebens «Menetekel» erscheint wie ein stillgelegter Reaktor, der wieder zum Leben erwacht – seine Turbinen zittern unter dem Gewicht menschlicher Arroganz. Was in «Countdown» als leise, beinah geologische Vibration beginnt, entfacht bald eine Kettenreaktion aus Death-, Doom- und Black-Metal, bestrahlt von unheimlichen Synthesizern, die wie Kühlstäbe in der Dunkelheit leuchten.
Das Dresdner Kollektiv, das nur unter seinen isotopischen Codenamen bekannt ist (60CO, 232TH, 239PU, 85KR, 235U), verwandelt die Idee der Apokalypse in ein technisches Handbuch. Jeder der 4 Track entfaltet sich dabei wie eine Phase des Containment-Versagens: das leise Summen der Systeme, der steigende Druck, der Bruch. «Sarkophag» hallt durch unterirdische Tunnel, seine Riffs sind mit Staub und Verfall überzogen. «Erg» verlangsamt den Puls und offenbart melodische Fragmente, als würde man durch Bleiglas schauen.
Und der Titeltrack «Menetekel» versiegelt den Tresorraum – eine letzte Warnung, eingraviert in leuchtenden Buchstaben: Mene Tekel Upharsin (Daniel 5:25). Dies ist kein stilles Requiem, sondern eine kontrollierte Kernschmelze – ein verzerrter Nachhall von Jane Goodell (1934–2025), geflüstert nicht vom Regenwald, sondern geschrien von Sirenen und Geigerzählern.
Die Produktion von Gorleben verzichtet auf modernen Schliff. Stattdessen klingt sie wie eine Feldaufnahme aus dem Inneren der Betonkuppeln von Gorleben. Die unvollkommene Stimmung, das Flackern analoger Synthesizer und der Bass, der wie der Herzschlag eines Reaktors klingt, werden zur radioaktiven Seele der Musik. Ein akustisches Endzeitkraftwerk von radioaktiver Intensität, dessen instrumentale Wucht und Atmosphäre faszinieren, auch wenn die Stimmfarbe mich weniger überzeugt.
Lukas R.