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"Glámr war gross von Wuchs und von schreckenerregendem Aussehen; er war schwarz und starr in den Augen. Die Menschen fanden es ganz und gar nicht angenehm, ihm zu begegnen." So steht es in der Isländischen Grettis Saga und so könnte es dir auch bei dem Anhören dieses Werkes ergehen.
Das Debüt-Album von MARTRÖÐ erscheint als eine kontrollierte Eruption - eine Traumvision, umgesetzt in Klang, zu gleichen Teilen Offenbarung und Untergang. Die Band selbst beschreibt «Draumsýnir Eldsins» als eine rituelle Struktur, die auf der mittelalterlichen ‘Traumvision’ basiert. In dieser wird der Schlaf zu einer Schwelle und Träume zu einem heiligen Strom, der den menschlichen Geist mit kosmischen, symbolischen Kräften verbindet. Selten hat sich Black Metal so sehr wie ein Initiationsritus angefühlt.
Die Musik kanalisiert organisiertes Chaos: Gitarren winden sich in dissonanten Spiralen, Trommeln brechen wie Vulkanschlote aus und der Gesang klingt eher wie gebrochene Beschwörungsformeln als wie traditionelle Zeilen. Doch unter der wirbelnden Extremität verbirgt sich ein Gefühl von immenser Architektur, als wäre jeder Track aus demselben Obsidian-Monolithen geschnitzt. Ambient-Zwischenspiele, gestrichene Gitarren, Cello und Chor vertiefen die tranceartige Anziehungskraft und verwandeln die Platte in einen Fiebertraum, der sich uralt, okkult und seltsam zeremoniell anfühlt.
Diese Intensität macht «Draumsýnir Eldsins» zu einem unheimlichen akustischen Begleiter der dunkelsten Wesen der isländischen Folklore: den Draugar, den "unterirdischen Toten". Sie erheben sich aus Grabhügeln, um die Lebenden zu quälen. In den Sagas zermalmen sie Knochen, ziehen die Lebenden in ihre Grabhügelwelt und streifen mit bösartiger Intelligenz umher. Das Debütalbum von Martröd anzuhören, fühlt sich an, als stünde man am Eingang eines solchen Grabhügels: Dissonante Riffs hallen wie sich verschiebende Erde wider, perkussive Explosionen imitieren unterirdische Erschütterungen und die Vocals - halb menschlich, halb gespenstisch - klingen wie die Stimmen derer, die nicht sprechen sollten.
Martröd dringen tief in das Reich des mythischen Terrors vor: gewalttätig & traumvergiftet. Ihre Musik erzählt nicht den Draugar-Mythos, sondern klingt, als würde ein Draugr denken, atmen und an den Grenzen der Wachwelt kratzen. Jeder der vier Songs taktet mindestens 9 Minuten. «Draumsýnir Eldsins» ist anspruchsvoll, verwirrend und völlig kompromisslos. Für Zuhörer, die sich zum halluzinatorischen und folkloristischen Extremismus Islands hingezogen fühlen, ist dieses Album empfehlenswert. Es ist der irrwitzige Soundtrack für Sagen, die aus Albträumen, Feuer und Grabeserde geschrieben sind. Fühlst Ihr Euch gerne mal unbehaglich, dann ist dies für Euch.
Lukas R.