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(J)äh, wie aus geschwärzter Erde geboren, bricht das heilige Feuer von «Tome II: Ignis Sacer» hervor, und zwar genau, wie es der Titel verspricht. Es ist eine Offenbarung, die aus langer Gärung entstanden ist. In Marc Obrists Hutch Sounds in Oberwil, Basel-Landschaft, sprich dem Dorf in dem der Autor dieser Zeilen aufgewachsen ist, aufgenommen, brennt dieses zweite Kapitel des schweizerisch-deutschen Quartetts mit einer Präzision, die im heutigen Underground-Black-Metal eher selten zu finden ist.
Vígljós kanalisieren die kalte Autorität von Darkthrone und Immortal, doch ihre Flamme tanzt anders: Mellotron-Schichten zischen durch rohe Riffs wie Rauch über Stein und verwandeln das, was eine nostalgische Hommage hätte sein können, in ein lebendiges, atmendes Ritual. Die Produktion – eisig, aber dreidimensional – lässt jede Tremolo-Figur und jeden Percussion-Akzent mit Absicht schimmern, als wäre der Aufnahmeraum selbst zu einem Schrein geworden. (L)ayer für Layer konstruiert die Band eine klangliche Zeremonie der Besessenheit. Jedes Bandmitglied, heisst (J) am Schlagzeug, (L) am Gesang und (N) an der Gitarre verkörpert dabei ein Element des alchemistischen Prozesses: Rhythmus als Hammer der Reinigung, Stimme als Medium zwischen Qual und Ekstase sowie Saiten als Entzündung der Materie zum Geist.
Insbesondere der Gesang ist beunruhigend und seltsam, halb Gesang, halb Exorzismus und erinnert an die fieberhaften Zustände, um die sich das Konzept des Albums dreht: den Ergotismus und den halluzinatorischen Terror, den er im Mittelalter einst in ganz Europa auslöste. Songs wie «Claviceps» und «Delusions of Grandeur» zeichnen diese psychische Kontamination nach und verwandeln Krankheit in eine Metapher für kreatives Feuer. Die Zuhörer und Zuhörerinnen werden durch Verfall, Delirium und Katharsis gezogen, bis die Grenze zwischen Gift und Erleuchtung völlig verschwimmt.
(N)ie zufrieden mit einfacher Dunkelheit, verwandeln Vígljós die Feindseligkeit des Black Metal in Transzendenz. Die letzten Titel, «Harvest» und «Fallow – A New Cycle Begins», verklingen wie Glut und suggerieren eher eine Wiedergeburt als das Auslöschen. Es ist Musik die Präsenz verlangt und ebenso sehr gefühlt wie gehört werden muss. Idealerweise in einer Live-Umgebung, in der Rauch, Duft und Klang zu einem einzigen Ritual verschmelzen. «Tome II: Ignis Sacer» zeigt sich als ein Weg durch den Schatten hin zur Erleuchtung und ist ein seltenes Zeugnis dafür, wie Ritual, Intellekt und Intensität noch immer zu etwas wahrhaft Heiligem verschmelzen können.
Lukas R.